Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Klagelieder 3,22-23

Liebe Leser*innen,
Sprache ändert sich, das geschieht wie von selbst, manches verschwindet, manches entsteht. Wie alles im Leben ist auch Sprache beweglich, passt sich an, erfindet sich teilweise neu. Wenn die Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner die Topauswahl für das Jugendwort des Jahres ansagt, ist das für viele mittlerweile „Kult“ und wird gefeiert. Wobei allerdings bezweifelt werden darf, ob all diese „Jugendwörter“ tatsächlich von Jugendlichen benutzt werden.

Wie schön ist es aber, wenn manche sehr alten Wörter die Zeit überdauern. „Kleinod“ gehört dazu, oder „Augenstern“. Ein anderes altes Wort ist der „Garaus“. Etwas oder jemandem den „Garaus“ machen, heißt „vollständig beenden“ oder „vernichten“. Wenn ich in unserem Oktober-Monatsspruch aus der Bibel (in der alten Übersetzung Martin Luthers) lese, „die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind“, muss ich immer an diesen „Garaus“ denken. Weil Gott gütig, also gut ist, kann uns keiner den Garaus machen. „Garaus“ kommt tatsächlich von den Worten „gar aus“ also „vollständig aus“.

Gott passt also auf, dass wir nicht vernichtet werden, heißt das wohl. Alle Morgen neu ist Gottes Barmherzigkeit (ist das nicht auch ein schönes altes Wort?). Immer wenn wir aufstehen, können wir sicher sein: Gott ist schon da, und sie öffnet ihr Herz für uns. Und ihre Treue ist groß. Wer sich jetzt wundert, dass Gott in diesem Text „sie“ ist, merkt vielleicht: Mit weiblichen Pronomen öffnet sich ein ganz neuer Horizont für Gott. Wir sind so daran gewöhnt, von Gott als „er“ zu reden, dass uns gar nicht mehr auffällt, wie wir Gott damit automatisch unbewusst als männlich denken. Und dabei auf Gott all die Eigenschaften übertragen, die wir üblicherweise mit männlich verbinden. Ist Gott aber nicht viel mehr als das?

Ich freue mich immer, wenn ich höre, wie Kolleg*innen in Predigten von Gott als weiblich sprechen. Auf einmal hören wir hin: Hat die Pfarrerin da wirklich eben „sie“ gesagt für Gott? Wie finde ich das denn? Kann ich mich darauf einlassen? Stellt das mein Gottesbild infrage beziehungsweise wird es vielleicht heilsam erschüttert?

Liebe Leser*innen, vielleicht ist Ihnen das heute zu viel Gerede über Sprache in dieser Gemeindebrief-Andacht. Vielleicht haben Sie sich heute mehr Zuspruch erhofft, mehr Tröstliches – in einer Zeit, die uns niederdrücken kann, die uns Angst machen will mit ihren Schrecken und Unwägbarkeiten. Und manch eine*r wünscht sich vielleicht sogar zurück in eine vermeintlich bessere Vergangenheit.

Das Tröstliche, das ich Ihnen heute sagen kann, ist: Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende! Es ist noch nicht soweit, dass diese Welt untergeht! Gott liegt etwas an uns und an dieser wundervollen Schöpfung mit all ihren Lebewesen. An jedem Morgen, der auf eine vielleicht schlaflose Nacht folgt, zeigt sich Gott auf´s Neue und sagt: „Ich bin da. Ich bleibe bei dir. Ich lasse nicht zu, dass dein Leben kaputtgeht. Hab keine Angst vor den Veränderungen in deinem Leben. Ich bin an deiner Seite. Vertrau mir und lass mich dir helfen!“ Und dann bleibt uns, unser Herz zu öffnen und dieses Angebot anzunehmen. Und zu staunen, dass Gott schon Jahrtausende treu an des Menschen Seite steht. Mit ihrer Lebendigkeit, Heiligkeit und ihrem Frieden, der unser Verstehen übersteigt.

Ich will mich daher immer wieder neu einlassen auf Gottes Treue und mit meiner kleinen Kraft helfen, dass diese Welt, dass Gottes Schöpfung niemals „gar aus“ ist.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Pfarrerin
Almut Gallmeier